New Skill set

Veröffentlicht am: 12. April 2023

Autor:

Nicole Neubauer

Lesedauer:

Reading Time: 5 Minuten

Wenn Wissen alleine nicht mehr reicht: Das Skillset der Zukunft

Du verdienst mehr als 75.000 Euro im Jahr? Du hast studiert? Du arbeitest in einem Tech- oder IT-Unternehmen, hast viel mit Daten oder Finanzen zu tun oder bist im Kommunikationsbereich tätig? Dann wirst Du und Dein Job mit großer Wahrscheinlichkeit von Künstlicher Intelligenz (KI) wie ChatGPT[1] betroffen sein[2].

Zu diesem Ergebnis kommen Forscher:innen von OpenAI – den Erfindern des Chatbots ChatGPT – und der University of Pennsylvania. Inzwischen dürfte den meisten klar sein: ChatGPT ist mehr als nur ein vorrübergehender Hype. Als Netflix 1999 an den Start ging, dauerte es über drei Jahre, bis das Unternehmen eine Million Nutzer:innen hatte. Bis Facebook diese Zahl erreichte, vergingen nur 10 Monate. ChatGPT brauchte dafür genau ­5 Tage. Kein Wunder, dass viele darin eine Art Meilenstein für Künstliche Intelligenz sehen. Zum ersten Mal wird sie für viele Menschen unmittelbar erlebbar und es lässt sich schon jetzt erahnen, mit welcher Wucht KI-Systeme auch auf dem Arbeitsmarkt einschlagen werden. Laut einer Umfrage der US-Jobbörse Resumebuilder unter 1.000 Geschäftsführer:innen hat fast die Hälfte der Unternehmen, die auf ChatGPT setzen, bereits Mitarbeiter:innen durch den Chatbot ersetzt[3]. Mit dem Launch dieser und vieler anderer KI-Systeme gewinnt die vierte industrielle Revolution massiv an Geschwindigkeit.

In Fabrikhallen sind schon früher zahlreiche Jobs durch Maschinen ersetzt worden. Sorgt genau diese Künstliche Intelligenz jetzt dafür, dass dasselbe nun in den Großraumbüros passiert? Ich möchte Dir in diesem Artikel ein paar Gedankenanstöße dazu geben und eine Idee davon skizzieren, wie sich die beruflichen An- und Herausforderungen durch KIs in Zukunft ändern werden und wie Du Dich und Dein Unternehmen darauf vorbereiten solltest.

Diesmal geht es um die White-Collar-Jobs

Das Neue an dieser Welle der Automatisierung ist, dass diesmal nicht, wie in der Vergangenheit, die Arbeiter im blauen Overall im Visier stehen, sondern die White-Collar-Workers. Auch wenn die meisten ihre weißen Blusen und Hemden im Home-Office durch bequeme Hoodies ersetzt haben, geht es genau ihnen jetzt an den weißen Kragen. Denn auch bei dieser Revolution gilt die Regel: Jede neue Technologie kann menschliche Arbeit entweder ersetzen oder ergänzen. Welche konkreten Jobs das sein können, hat der Business Insider in diesem gut recherchierten Artikel[4] zusammengetragen. Spoiler: Datenanalysten, Journalisten, Anwälte, Grafikdesigner, Softwareentwickler oder Buchhalter – manches davon hattest Du bestimmt noch nicht auf dem Schirm. Aber, wie kannst Du dieser Entwicklung nun begegnen? Zunächst mit einer aufgeschlossenen Haltung. Denn KI geht nicht mehr weg, sondern bleibt. Frage Dich also, wie Du von diesen Systemen profitieren und Deine Rolle weiterentwickeln kannst, denn kaufmännische, finanzielle oder technische Fähigkeiten alleine werden in Zukunft nicht mehr ausreichen. Außerdem solltest Du erkennen, dass Deine Persönlichkeit und Soft Skills die Karriere-Booster der Zukunft sein werden. Frage Dich selbst, wie gut diese Kompetenzen bei Dir ausgebildet sind:

  • Kommunikationskompetenzen: Sprachklarheit, zielgerichtete Verständigung, aktives Zuhören sowie Dialog- und Konfliktfähigkeit
  • Problemlösefähigkeit: Problemsensibilität, Kreativität, Verarbeiten von komplexen Informationen, kritisches Denken, Urteilsfähigkeit
  • Interkulturelle Kompetenz: Respektvoller und reflektierter Umgang über Kulturen hinweg, sowie Sprachkenntnisse
  • Soziale und emotionale Fähigkeiten: Emotionale und soziale Intelligenz, Empathie, Teamfähigkeit, Anpassungsfähigkeit bzw. Veränderungskompetenz, Resilienz
  • Intrinsische Motivation: Neugier, Lernbereitschaft und Begeisterungsfähigkeit

Eine detaillierte Übersicht zu 21 wichtigen Zukunftskompetenzen liefert die Studie „Die Zukunft der Qualifizierung in Unternehmen nach Corona“, die der Stifterverband gemeinsam mit McKinsey durchführte. Die Studie listet neben technologischen und digitalen Schlüsselkompetenzen auch klassische und transformative Kompetenzen auf, die wir benötigen, um die Problemstellungen von heute und morgen innovativ lösen zu können.

Die Renaissance der Soft Skills

Wir erleben also auch in der Wissensarbeit eine deutliche Verschiebung vom Menschen zur Maschine – und auch von Hard zu Soft Skills. Lange Zeit galten letztere als eher nebensächlich: Anders lässt sich nicht erklären, warum wir in Führungspositionen einen solch hohen Anteil an Menschen mit narzisstischer oder psychopathischer Persönlichkeitsstörung finden[5]. Es benötigt also Reformbereitschaft und Umdenken, auch auf Unternehmensseite:

1. Unternehmen müssen Sozialkompetenzen höher gewichten: Sie sind essentiell für das Business und nicht mal eben in einem Webinar erlernbar. Der Mensch verändert sich nicht von heute auf morgen.

2. Beim Recruiting muss mehr auf das Entwicklungspotenzial geachtet werden, als auf die eigentliche Berufserfahrung: Es ist sinnvoller zu überlegen, was eine Person, basierend auf ihren Erfahrungen, (auch in Zukunft) machen könnte – auch abseits der Tätigkeit in der Vergangenheit.

3. Es benötigt Reskilling: Unternehmen müssen langfristig in ihre Mitarbeiter:innen aller(!) Gehaltsstufen investieren. Beim Reskilling lernen sie neue Kompetenzen, um eine neue Position besetzen zu können. Dies erhöht ganz nebenbei auch die Mitarbeiterbindung. Welche konkreten Schritte hierfür notwendig sind, hat Hogan Assessment kompakt zusammengefasst[6].

In jedem Fall können Assessments dabei helfen, die Persönlichkeitsmerkmale und Soft Skills, die in Zukunft wichtiger werden, schon heute zu identifizieren. Anhand von datengetriebenen Tests zu Werten und Stärken[7] können Talente identifiziert und das Reskilling-Potenzial ermittelt werden. Neben Mentoring und Job-Rotation können Dich auch Einzel-Coachings dabei unterstützen, Dein Soft-Skillset zu erweitern und soziale Schwachstellen zu identifizieren.

„The only skill that will be important in the 21st century is the skill of learning new skill.”

Peter Drucker

Die „gute“ Nachricht zum Schluss: Auch mit ChatGPT wird uns die Arbeit nicht ausgehen. Wie schon in der Vergangenheit gesehen, werden Maschinen unsere Routinearbeiten übernehmen. War es früher das Zusammenschweißen von Autoteilen, ist es jetzt die Buchführung. Dafür erhalten wir Freiräume für neue Aufgaben, bei denen nicht-maschinelle Fähigkeiten gefragt sein werden. Das zwingt uns jedoch, uns und unsere Berufe neu zu erfinden und damit auch eine Kultur des lebenslangen Lernens zu etablieren.

Mehr Infos zum Thema:

Die Disruption auf die Wissensarbeit durch maschinelles Lernen und KI war auch Thema eines Panels beim diesjährigen World Economic Forum:

https://www.weforum.org/events/world-economic-forum-annual-meeting-2023/sessions/ai-and-white-collar-jobs

Mehr zur Idee des „lebenslangen Lernens“ findest Du auf den Seiten der UNESCO. Das hauseigene Institut (UIL) hat dort einen neuen Bericht veröffentlicht, der eine zukunftsorientierte Vision der Bildung aufstellt und notwendige Schritte skizziert:

https://uil.unesco.org/lifelong-learning/new-vision-lifelong-learning-and-world-worth-living

Auch KI will gelernt sein: Steven Forth, CEO eines SaaS-Unternehmens, zeigt Dir in seinem Blog, wie Du mit ChatGPT interagieren kannst, wie das System arbeitet und Du Verzerrungen identifizieren kannst:

https://www.ibbaka.com/ibbaka-talent-blog/five-ways-to-develop-chat-gpt-skills


[1] Die Abkürzung GPT steht für Generative Pretrained Transformer – generativer, also erzeugender, vortrainierter Transformator. ChatGPT greift nicht auf Inhalte aus dem Internet zurück oder recherchiert diese. Das System bezieht die Information aus Texten, die es bereits gelesen hat und auf die es trainiert wurde. Daher die Bezeichnung „Generative“ und „Pretrained“. Das System schreibt die Texte, die aus verschiedenen Wissensgebieten kommen können, um oder übersetzt diese und gibt diese transformatierte Antwort aus.

[2] https://arxiv.org/pdf/2303.10130.pdf

[3] https://www.resumebuilder.com/1-in-4-companies-have-already-replaced-workers-with-chatgpt/

[4] https://www.businessinsider.de/tech/chat-gpt-diese-zehn-berufe-koennten-in-zukunft-von-der-kuenstlichen-intelligenz-uebernommen-werden-d/

[5] https://www.sciencedirect.com/science/article/abs/pii/S0191886912004163

[6] https://www.hoganassessments.com/blog/reskilling-socioemotional-skills-talent-development/

[7] Beispielsweise über das Hogan Personality Inventory (HPI) und Motives, Values, Preferences Inventory (MVPI)